Wiedervernetzung dringend notwendig
Lebensraumzerschneidung gefährdet genetischen Austausch und damit Artenvielfalt. Inzuchteffekte beim Rotwild sind jetzt belegt. Mehr Querungshilfen wie Grünbrücken sind notwendig, doch die Bundesregierung bleibt im Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ vage.
Die fortschreitende Zerschneidung der Landschaft durch Siedlungen und Verkehrswege gefährdet die biologische Vielfalt maßgeblich. Die Barrierewirkung von Verkehrswegen lässt sich ablesen an etwa einer Viertelmillion Wildunfälle mit großen Säugetieren jährlich.
Genetische Verarmung beim Rotwild nachgewiesen
Noch gravierender: genetische Verarmung von zum Teil isolierten Populationen. Inzucht und vermehrt Missbildungen wie verkürzte Unterkiefer sind die Folge. Die Universität Göttingen hat mit Unterstützung des DJV über 1.000 Gen-Proben von 34 Rothirsch-Vorkommen in Deutschland ausgewertet und im Frühjahr 2022 veröffentlicht. Ergebnis: Inzuchtwerte, wie sie bei Verpaarung zwischen Halbgeschwistern oder Eltern und Kindern vorkommen. Als Hauptursachen für die fehlende Vernetzung von Rothirsch-Vorkommen haben die Wissenschaftler Straßen, Siedlungen und behördlich verordnete rotwildfreie Gebiete ausgemacht. Studien der Universität Gießen aus Hessen und Nordrhein-Westfalen stützen die Erkenntnisse.
Nur vage Zusagen für Wiedervernetzung
Rothirsche müssen wandern können. Insofern ist eine Wiedervernetzung von Lebensräumen besonders wichtig für den Artenschutz – etwa durch Querungshilfen. Leider hat die Bundesregierung es Ende März 2023 versäumt, das Bundesprogramm „Wiedervernetzung“ zu stärken, das Bestandteil des 4 Milliarden schweren Aktionsprogramms „Natürlicher Klimaschutz“ (ANK) ist. Die darin formulierte „Errichtung von möglichst zehn Querungshilfen bis 2026“ bleibt sehr vage und deutlich hinter den DJV-Forderungen zurück: Bau von zehn Querungshilfen pro Jahr über bestehende Bundesfernstraßen sowie Untersetzung des Bundesprogramms „Wiedervernetzung“ mit einem eigenen Haushaltstitel.
Auf der Süddeutschen Rotwildtagung von Bayerischem Jagdverband und Landesjagdverband Baden-Württemberg Ende März 2023 wurde öffentlich: erstmals in Baden-Württemberg Rotwild mit Unterkieferverkürzung entdeckt – nach Hessen und Schleswig-Holstein im dritten Bundesland. Dort erschweren behördlich verordnete rotwildfreie Gebiete den genetischen Austausch besonders stark, der Rothirsch darf nur auf vier Prozent der Landesfläche leben. Der DJV hat die Veranstaltung unterstützt.