„Aus Ratlosigkeit zum Vegetarismus“
Der Nahrungsethnologe Professor Marin Trenk untersucht die internationale Esskultur und ihre Veränderungen. Er lehrt an der Goethe-Universität Frankfurt Kulinarische Ethnologie. Anfang nächsten Jahres erscheint sein neues Buch „Döner Hawaii – unser globalisiertes Essen“. Besonders angetan hat es ihm die thailändische Küche. Mit dem DJV sprach Professor Trenk über Nahrungstabus, die Vorzüge von Wildfleisch und die allmähliche Entfremdung vom Tier.
DJV: In Deutschland wurden 2012 etwa 3,6 Millionen Stück Wild zur Strecke gebracht. Im Vergleich zur industriellen Fleischproduktion von etwa 750 Millionen Stück kann man das als marginal bezeichnen. Warum essen wir heute überhaupt noch Wildfleisch in Deutschland und wie beurteilen Sie das Fleisch?
Trenk: Als Kulinarischer Ethnologe staune ich nicht schlecht, wie sehr sich bei uns jeden Herbst die uralte Faszination unserer Kultur an den Erträgen des Waldes zeigt. Noch ist in Deutschland der gastronomische Kult um Hase, Reh und Wildschwein lebendig, die möglichst mit Waldpilzen und Wildpreiselbeeren verspeist werden. In Amerika, wo bekanntlich auch viel gejagt wird, gibt es das in der Öffentlichkeit nicht. Aber bei einer Mehrzahl vor allem junger Menschen ist Wild zunehmend verpönt. Denn für die Chicken-Nugget-Generation, die mit fadem Fleisch aus industrieller Fertigung groß wurde, ist Wild schlicht zu geschmacksintensiv. So seltsam es sich anhört: aber ausgerechnet seine Qualität wird dem Wildbret zum Verhängnis.
Warum entscheidet sich eine Kultur für oder gegen eine bestimmte Speise?
Wenn wir alles, was bei uns kreucht und fleucht, einer der beiden Schubladen „genießbar“ oder „ungenießbar“ zuordnen, wird deutlich, wie überschaubar die erste Gruppe ist. Warum essen wir zwar Kaninchen aber keine Katze? – Vom Geschmack her sollen sich Stallhase und Dachhase ja angeblich kaum unterscheiden. Mit Sicherheit lässt sich nur sagen, dass jede Kultur eine Auswahl dessen vornimmt, was für sie essbar ist. Mit verblüffendem Resultat: Denn weltweit dürfte es nichts geben, was nicht von Menschen der einen Kultur mit gutem Appetit verspeist, von der anderen aber als abscheulich abgelehnt wird.
Welche Kriterien spielen dabei eine Rolle?
Für die meisten Nahrungstabus verlieren sich die Ursachen in einer fernen Vergangenheit. Und deswegen können wir auch nur die wenigsten erklären. Beim Pferdefleisch wissen wir, dass dessen Verzehr einstmals von der Kirche mit einem Bann belegt worden war, um den alten Germanen den heidnischen Kult um dieses Tier madig zu machen. Warum aber verzichtet etwa ein Komantsche auf Truthahn? Aus einem ganz einfachen Grund: Der Truthahn nämlich glänzt nicht durch Tapferkeit. Nähert sich ihm der Jäger, sucht er sein Heil in der Flucht. Für einen indianischen Krieger war das Grund genug, ihn vom Speisezettel zu streichen. Denn nichts fürchtete er mehr, als dass die Feigheit des Vogels auf ihn übergehen könnte. Indianische Frauen dagegen verschmähten ausschließlich den Magen des Vogels, da sie nicht vorzeitig altern und ähnlich runzlig aussehen wollten. Denn bekanntlich „ist man ja, was man isst . . . “.
Obwohl die absoluten Zahlen überschaubar bleiben, kann man als Medienkonsument leicht den Eindruck bekommen, dass Vegetarier hierzulande nicht nur im Trend liegen, sondern auch längst den Ton in der Küche angeben. Ist das nur ein Trend oder ist das mehr in Deutschland?
Auch wenn es für den aktuellen Anstieg des Vegetarismus sicher eine Reihe von Gründen gibt, scheint er mir im Kern die falsche Antwort auf die Misere der Massentierhaltung zu sein. Vegetarismus – das ist weniger die Liebe zum Tier, als die tiefgreifende Entfremdung von ihm. Wie mir scheint, werden gerade viele junge Leute aus schierer Ratlosigkeit zu Vegetariern. Als Ethnologe weiß man, wie rar vegetarische Kulturen auf der Welt sind. Dabei war es Menschen weltweit über die Jahrtausende geläufig, von der Jagd oder Viehzucht zu leben und respektvoll mit Tieren umzugehen. Gerade das lässt sich aus der Geschichte der Kulturen lernen.
Und wie ist das in Thailand?
Im buddhistischen Thailand spielt der Vegetarismus nur eine verschwindende Rolle. Selbst die Mönche ernähren sich nicht vegetarisch.
Haben Sie ein Lieblingsgericht?
Ein ausgesprochenes Lieblingsgericht habe ich nicht; wahrscheinlich, weil mir einfach sehr Vieles schmeckt. Seit meiner Kindheit liebe ich Gerichte vom Feldhasen über alles. Wild ist für mich immer etwas Besonderes geblieben; findet es sich auf einer Speisekarte, dann bestelle ich es auch. Die delikaten Wildinnereien mag ich besonders – bloß wo gibt es die noch?