'Jäger erschießen wahl- und grundlos Tiere!', 'Die armen Rehe!', 'Jäger hassen Tiere!', 'Iss' bloß kein Wild!'. Diese sind nur einige Aussagen, mit denen ich und wahrscheinlich auch viele andere Jugendliche aufgewachsen sind. Nicht nur im Elternhaus, auch in der Schule und in anderen Umfeldern wurde häufig so gesprochen. Durch diese prägenden Aussagen übernimmt man sehr schnell das negative Denken über die Jäger. Zumindest war es bei mir so und noch heute bekomme ich oft solche Meinung zu hören. Ich will mich davon nicht freisprechen. Auch ich habe so geredet und war der festen Meinung, dass die Jagd sinnlos ist und letztendlich nur unschuldige Tiere wahllos umgebracht werden.Diese Überzeugung behielt ich, bis ich Anfang diesen Jahres meinen Freund kennengelernt habe: Er heißt Finn, ist 25 Jahre jung, Maurer und übt nebenbei die Jagd aus. Im letzten Jahr absolvierte er seinen Jagdschein und machte damit seinen Großvater sehr stolz. Als Finn mir von seinem Hobby erzählte, war ich zunächst alles andere als begeistert und wusste nicht so recht, wie ich damit umgehen sollte. Doch Finn gab nicht so leicht auf und erzählte mir von Erlebnissen bei der Jagd, zeigte mir Bilder und erklärte mir viel über dieses Hobby. Ich muss zugeben, mein Interesse wurde dadurch geweckt und ich war bereit einen anderen Blickwinkel auf die Jagd zuzulassen. So kam der 1. Mai 2017. Der Beginn der Bockjagd und dadurch die Auflösung meines ersten eingeprägten Vorurteils gegenüber der Jägerschaft. Nein, Jäger schießen nicht zu jeder Zeit und ohne Rücksicht. Es gibt genaue Vorgaben, wann welche Tiere zur Jagd freigegeben werden.
Zurück zum 1. Mai: 04.30 Uhr, der Wecker klingelt. 'Oh Gott, ist das früh!' - mein erster Gedanke. Egal, denn Finn war voll motiviert und so raffte ich mich auf, rein in Finns warmen Winter-Jagdanzug. So etwas kuscheliges habe ich noch nie getragen! Waffe, Fernglas, etc. packten wir ein und los ging es zum Hochsitz. Das erste was mich überwältigte, war die Stille, abgesehen von den 'puren' Geräuschen der Natur. Ich war überwältigt! Ich konnte mir vorher nicht vorstellen, dass man die Jagd als entspannende Ablenkung vom Alltag nutzen kann. Jetzt wusste ich, dass es stimmte. Ich genoss die Morgenluft und den Sonnenaufgang, während ich leise mit Finn über die Jagd sprach. Ich stellte die wahrscheinlich typischste Frage für einen Nichtjäger: 'Wenn jetzt ein Reh kommt, schießt du es einfach ab?' Und da klärte Finn mich erst einmal auf: Nicht jedes Reh wird wahllos erlegt. Man müsse das Tier zuerst genau ansprechen. Ich dachte nur: 'Tier ansprechen? Jetzt geht's aber los', bis er mich aufklärte, dass bei der Jagd so die Beurteilung eines Tiere genannt wird. Man schaut nach dem Geschlecht des Tieres - Entschuldigung, ich meinte natürlich 'Stück Wild', das ungefähre Alter und speziell bei Böcken schaut man sich das Geweih ähm Gehörn an. Ist es vom Gehörn her ein starker Bock, so schießt man ihn nicht, damit seine gute Veranlagung fortgepflanzt wird. Schwächere Böcke, sowie natürlich verletzte Tiere sollten in der Regel erlegt werden. So war auch dieses Vorurteil aufgelöst. Nach dem 1. Mai erfolgten einige weitere gemeinsame Jagdtage und mein Fachvokabular und Interesse stieg stetig. Bisher hatten wir nur Tiere beobachtet, aber dann kam der Tag an dem wir unseren ersten passenden Bock gesehen haben. Er schlich sich direkt hinter uns aus dem Gebüsch. Ein interessanter aber kein starker Bock, laut Finn. Diesen könnten wir schießen. Der Bock schlich sich also direkt hinter uns entlang, der Hochsitz wackelte fast, so angespannt war Finn. Jagdfieber nennt man das wohl. Der Bock entdeckte uns und rannte los, blieb noch einmal stehen und rannte dann weiter. Finn schoss nicht, was mich verwunderte und ich fragte nach. Er erklärte mir, dass nicht, wie gerne erzählt wird, einfach los geschossen werde, sondern der Bock für den Schuss 'breit' stehen müsse, damit er möglichst im Knall liegt. Nun war ich noch verwirrter, lernte aber dann, dass dies bedeutet, dass der Bock so stehen muss, damit er direkt mit dem Schuss erlegt werden kann, um ein Weiterlaufen oder gar Verletzungen zu vermeiden. Wieder was dazu gelernt! Den Bock sahen wir immer wieder und schließlich war es eines Abends soweit: Der Bock stand breit und Finn schoss. Ich wollte filmen, ließ das Handy jedoch fast vor Schreck fallen. Ich fragte Finn, ob das Tier nun tot sei und er bestätigte. Ein komisches Gefühl ging mir durch den Magen, aber ich dachte etwas nach. Nämlich darüber, worüber ich in letzter Zeit oft nachgedacht hatte. Ist es wirklich schöner und besser kein Wild zu essen? Soll man lieber Schweinefleisch von Tieren, die auf engstem Raum ihre letzte Fahrt in einem LKW fahren und dann ehrlos getötet werden? Oder Hühner, die sich kaum bewegen können, weil in den Batterien so wenig Platz ist? Mir wurde immer mehr klar, dass das Erlegen in der freien Natur, in der das Tier nichts ahnt und ein schönes freies Leben führen konnte, doch viel angenehmer, schöner und gerechter ist. Auch unser Bock lebte bis zu dem Moment indem Finn schoss ein freies, unbeschwertes Leben.
Unser Bock lag und nach einigen Minuten gingen wir hin. Das komische Gefühl in meinem Bauch ließ nach und ich konnte ihn begutachten. Da lag er ganz friedlich. Ich lernte, dass man, um dem Tier die letzte Ehre zu erweisen, ein Blatt in den Mund steckt. Mal unter uns, denkt irgendjemand in einem Schlachthaus überhaupt irgendwann mal an die Ehre eines Tieres? Als nächstes kam das Ausweiden des Tieres. Dies war doch sehr gewöhnungsbedürftig, aber ich hielt es aus. Ich wollte bei dem kompletten Ablauf einer erfolgreichen Jagd einmal dabei sein und somit gehört auch das sogenannte 'Aufbrechen' dazu. Anschließend brachten wir das erlegte Tier zum Schlachter, der es zerlegen sollte. Wenige Tage später bekamen wir Steaks, Hackfleisch, usw. zurück. Kurz wurde mir wieder komisch und ich konnte mich nicht direkt überwinden, etwas davon zu essen, da ich mir die ganze Zeit vorstellen musste, wie das Tier noch gelebt hat. Aber naja, so lag das Fleisch halt erstmal in meinem Gefrierfach. Dieses Jagderlebnis war nicht mein letztes. Ich ging und gehe weiterhin mit Finn auf die Jagd. Wir haben seitdem kein Tier mehr gemeinsam erlegt, aber das findet keiner von uns schlimm. Jagd ist viel mehr als nur das, was die meisten fälschlicherweise davon denken: Tiere aus Lust und Gier zu erschießen. Allein das Beobachten der Natur und der Tierwelt beinhaltet schon dieses Hobby.
Finn und ich gingen zu Jägertreffen und zu einer Jagdmesse, wo ich das erste Mal in meinem Leben Wild aß. Ich kann nur sagen 'Köstlich!' und dazu wurde das Tier ehrvoll erlegt. Das gibt einem ein ganz anderes Gefühl, muss ich sagen. Bei dem Jägertreffen lernte ich viel und wurde auch über die weiteren Aufgaben eines Jägers aufgeklärt: Wenn ein Autofahrer ein Wildtier anfährt, sind es die Jäger, die zu jeder Zeit bereit stehen, um das Tier von der Qual zu erlösen. Bevor die Bauern ihre Felder abmähen, sind es die Jäger die stundenlang oder auch tagelang damit beschäftigt sind, die Felder nach abgelegten Rehkitzen zu durchsuchen, um diese vor den Mähfahrzeugen zu retten. Ist ein Tier in der freien Natur verletzt oder scheint krank zu sein, sind es die Jäger die stundenlang auf Nachsuche gehen, um das Tier gegebenenfalls zu erlösen. Aber sind wir mal ehrlich. Diese Tätigkeiten und Leistungen eines Jägers werden durch die vielen Vorurteile der Menschen ausgeblendet und das war auch bis vor einigen Monaten bei mir so. Auch Zuhause wird es nach wie vor nicht gern gesehen, dass ich mit auf die Jagd gehe, aber das ist mir egal und ich versuche mein Umfeld weiter mit meinen Erfahrungen zum Nachdenken zu bewegen, so wie Finn es bei mir gemacht hat. Es ist nicht so, dass ich mir nun vorstellen könnte selbst den Jagdschein zu machen und ein Tier selbst zu erlegen, aber ich blicke durch diese Erfahrungen und Belehrungen mit einem ganz anderen Auge auf die Ausübung der Jagd.
Ich plädiere somit nur an alle Jäger: Motiviert möglichst viele Nichtjäger einfach mal mit auf die Jagd zu gehen oder euren Erzählungen, ohne negative Kommentare, zuzuhören! Auch ich war ein absoluter Jagdgegner, aber neue Erfahrungen und die vielen Erzählungen haben mir einen anderen Blick auf die Jagd verschafft. Nadine Davidsen