Klasse, so 'ne Klassenjagd
Ein lauer Sommerabend im Bienwald. Der neunjährige Phil und sein Vater haben sich gemeinsam mit einem Jäger an einer Äsungsfläche auf die Lauer gelegt. Ab und an unterbricht der Ruf eines Schwarzspechts die Stille des Abends. Plötzlich entdeckt Phil einen Baummarder auf etwa 60 Meter Entfernung. Sowohl für das nichtjagende Vater-Sohn-Gespann als auch für Jäger Stefan ein besonderer Anblick. Er beginnt zu mäuseln, und der Baummarder macht sich zielstrebig auf den Weg zur Geräuschquelle. Das Ansitz-Trio ist angespannt, Stefan mäuselt weiter, der Marder kommt immer näher und fängt an, den Hochsitz hinaufzuklettern. Erst als der Marder am Fenster ankommt, bemerkt er, dass er hinters Licht geführt wurde und flüchtet flink in die Kronen benachbarter Bäume. Nicht nur für Vater und Sohn ist die Begegnung mit dem kleinen Beutegreifer etwas Außergewöhnliches - bei Jäger Stefan bleibt die 'Tuchfühlung' mit dem Baummarder ebenso in Erinnerung, denn auch das ist Jagd. Aber der Ansitz ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorbei. Grundschullehrerin Eva Kraus aus Ottersheim bei Landau (Pfalz) machte dieses Erlebnis möglich. Für die passionierte Pädagogin und Jägerin war es schon lange ein Anliegen, den Wunsch ihrer Schüler nach einer Teilnahme an einem Ansitz zu erfüllen. Doch bis sie Förster Hartmut Frohnweiler vom Forstamt Bienwald traf, wuss- te sie nicht genau, wie sie es umsetzen könnte. 'Im letzten Herbst trafen wir uns bei einer Drückjagd und unterhielten uns während des Schüsseltreibens', erinnert sich Eva Kraus. 'Ich erzählte ihm von der Idee, meinen Schülern die Jagd wahrhaftig zu zeigen, und er bot mir seine Hilfe an. Für mich war klar, dass es so endlich klappen könnte.'
Lehrerin Kraus sprach daraufhin ihre Idee mit dem Kollegium ab. Mit ihrem Ansatz, den 'Jagdausflug' als Bestandteil des Sachunterrichts und auf freiwilliger Basis zu organisieren, gelang es ihr, die Schulleitung zu überzeugen. Sie schrieb einen Elternbrief, und 13 von 15 Schülern nahmen das Angebot an. Zwei Ottersheimer Jäger gesellten sich mit ihren Kindern dazu, und auch Eva Kraus' 14-jährige Tochter Marlene durfte mit ihrer Tante Christine im Bienwald mit auf den Ansitz. Am 8. Juli 2016 war es dann so weit. Eva Kraus und Hartmut Frohnweiler begrüßten die Schüler und ihre Eltern im Bienwald. Um die Gruppe auf die Jagd einzustimmen, standen zunächst ein paar Waldspiele und Grillen von Wildbratwürsten auf dem Programm, die ein örtlicher Wildhändler gesponsert hatte.
Schon vor der Aktion wurde vereinbart, dass beim Ansitz nichts erlegt wird, wenn die Kinder es nicht ausdrücklich erlauben. Jeder Schüler bekam einen Jäger zugewiesen.
Bei Phil, seinem Vater und Jäger Stefan bricht die Dämmerung ein. Fledermäuse umfliegen den Hochsitz, drei Hasen hoppeln über die Äsungsfläche, und auch eine Waldohreule lässt sich blicken. Nach rund eineinhalb Stunden tritt ein älterer Bock aus dem Bestand. Für das Trio auf dem Hochsitz wird es jetzt ernst. Jäger Stefan fragt seine Gäste, ob er den Bock erlegen darf. Vor allem Phil gibt 'seinem' Jäger grünes Licht. Doch bevor Stefan den Bock ins Visier nehmen kann, ist dieser schon wieder zurück in den Bestand gezogen. Stefan ist zuversichtlich: 'Der kommt wieder.' Tatsächlich - etwas später tritt er wieder aus und zieht auf die Mitte der Äsungsfläche. Die Waffe im Anschlag, vergewissert sich Stefan noch ein letztes Mal, ob er den Bock erlegen soll. Phil nickt. Der Schuss bricht, der Bock zeichnet und springt tödlich getroffen in den Wald zurück. Jäger Stefan lässt Phil und seinen Vater erstmal zur Ruhe kommen, bevor sie nach dem Bock schauen. Es ist schon fast dunkel, als die drei abbaumen und sich dem Anschuss nähern. Eine deutliche Schweißfährte führt das Trio nach wenigen Metern zum verendeten Bock. Stefan gibt ihm den letzten Bissen, und zusammen bringen sie den Bock zum Wagen.
'Die gemeinsamen Ansitze waren ein voller Erfolg', ist Eva Kraus sicher. 'Es kamen ein Überläufer und ein Bock zur Strecke. Wenn auch nicht alle Teilnehmer Anblick hatten, konnte ich in ihren Gesichtern die Begeisterung ablesen.' Als die erfolgreichen Jäger ihre Beute versorgten, bildete sich eine Traube um sie. Neugierig beobachteten die Kinder das Aufbrechen. Jäger Stefan erklärte ihnen Funktion und Aufbau, und wer es wollte, durfte die Organe auch anfassen. 'Die Kinder waren dabei viel unempfindlicher als ihre Eltern', sagt Kraus amüsiert. Der direkte Kontakt zur Jagd nahm vielen Eltern die anfängliche Skepsis. Eva Kraus ist sich sicher, dass sie nun eine realistischere Einstellung zum Wild, zur Natur und nicht zuletzt zur Jagd gewonnen haben. Neben den bestimmt unvergesslichen Eindrücken brachte der Ansitz mit Stefan für Phil eine weitere Überraschung: Er bekam als Erinnerung an diesen Sommerabend im Nachgang noch die abgekochte Trophäe überreicht. Hartmut Frohnweiler