Ansitz mit Perspektivwechsel
In dem Anschreiben stand: 'Was für eine gute Idee von Ihnen, eine Jägerin im Revier begleiten zu dürfen! Gerne möchte ich von dieser Gelegenheit Gebrauch machen. Als Reiterin bin ich sehr naturverbunden. Allerdings erlebe ich zwar nicht die Jagd generell, so doch die Jägerschaft nicht immer ganz unvoreingenommen. Gerne hätte ich daher einen Perspektivwechsel.' Das war genau unser Ziel, als wir in der Kreisjägerschaft des Ammerlandes die Aktion 'Blick in die Natur' initiierten: eine andere Perspektive auf die Jagd vermitteln. 30 jagende Frauen waren dem Aufruf der Ammerländer Kreisjägermeisterin gefolgt, ausnahmsweise einmal nur Frauen zum Reviergang einzuladen. Fast 60 Frauen hatten sich am Ende gemeldet, um eine Jägerin auf den Ansitz zu begleiten und sich von ihr zeigen zu lassen, wie wir Jägerinnen die Jagd sehen und warum wir jagen. Für mich stand fest: Ich wollte unbedingt genau diese Frau kennenlernen und gerne mit ins Revier nehmen. Schnell war der Kontakt hergestellt und für Ende Juli ein Termin ausgemacht. Zunächst trafen wir uns beim Revierpächter. Das Gespräch war freundlich, aber durchaus hart. Vor uns saß eine kluge, nachdenkliche Frau, die in der Vergangenheit nicht nur gute Erfahrungen mit wortkragen und abweisenden Jägern gemacht hatte. Zudem bekümmerte unsere Gesprächspartnerin, daß sie bei ihren Ausritten und Spaziergängen kaum Wildtiere, und wenn, dann immer nur auf der Flucht erlebte. Zuerst einmal war es also an uns, klar zu machen, daß die Jägerschaft jederzeit an einem Dialog interessiert ist. Selbst, ja gerade wenn wir mit der Büchse bewaffnet in Wald oder Feld unterwegs sind, beantworten verantwortungsvolle Jäger gerne sachlich-interessierte Fragen. Damit es jedoch nicht bei den Erklärungen über Jagd-, Pacht- und Begehungsrecht blieb, sondern auch deutlich wurde, wie sehr sich die Jäger um einen Ausgleich zwischen dem Erholungsbedürfnis der Bürger und dem Ruhebedürfnis des Wildes bemühen, ging es schließlich ins Revier. Der Hochsitz, den ich anstrebte, lag kaum 200 m von einem vielbenutzten Weg entfernt. Doch erreichen konnten wir ihn nur über einen kaum sichtbaren Pfad an einer Baumreihe entlang. Schnell wurde meiner Mitgeherin bewußt, daß ohne diese 'Heimlichtuerei' dem Wild auch noch der letzte Rückzugsraum zwischen den sich ausbreitenden Ortschaften genommen wäre. 'Ganz schön tolerant ist unserer Wild eigentlich', stellte mein Gast erstaunt fest. In der Tat ist es beindruckend, was Wildtiere heutzutage alles ertragen, ohne zu schrecken: plaudernde Radfahrer, Autobahnrauschen, aufgedrehte Radios und rasselnde Erntemaschinen zum Beispiel an diesem Abend. Doch all das hielt den braven Platzbock nicht davon ab, 100 Meter vor unserer Kanzel der Ricke nachzustellen und sie munter zu treiben.Als wir im letzten Licht endlich abbaumten, wollte ich wissen, was meiner Mitgeherin denn nun am besten an unserem gemeinsamen Ansitz gefallen habe. 'Daß das Wild nicht auf der Flucht vor mir war und ganz entspannt dastand und äste.' Ja, so ist das: Der Jäger kennt das Wild vertraut und wer mit ihm mitgeht, der hat die Chance, Wild in aller Ruhe beobachten zu können. Doch das klappt nur, wenn wir Alle - Jäger wie Nicht-Jäger - uns selbst ein wenig begrenzen und nicht überall und zu jeder Zeit in den Lebensraum unseres Wildes eindringen. Denn auch das bedeutet Jagd gemeinsam erleben: zu lernen, daß wir kein Anrecht darauf haben, Wild zu sehen. Wildtiere wollen auch mal ihre Ruhe haben. Dr. Sabine Mangold-Will