Das "verschwendete" Wochenende
Im Jahr 2016 habe ich meinen Jagdschein bestanden und so ging es für mich auch schon während der Schulzeit oft ins 180 Kilometer entfernte Revier in der Nähe von Wolfsburg. Während Andere am Freitag in der großen Pause ihren Snapchat-Account aktualisiert haben, schaute ich oft in einer Jagdwetter-App, wie der Mond steht und ob das Büchsenlicht gut werden würde. Bei einigen Mitschülern stieß meine Vorfreude auf Unverständnis, bei anderen auf Neugier. Während meiner Schulzeit musste ich mir Fragen anhören wie 'Hast du echt schon mal ein Reh abgeschossen?' oder 'Isst du die Tiere wirklich, die du schießt?'. Diese Fragen haben mir Anlass zum Nachdenken gegeben, da ich nicht gedacht hätte, dass Jagd für Teile der Gesellschaft ein derartiges Mysterium darstellt.
Oft fragte mich ein Schulfreund scherzhaft nach einem Wochenende, an dem ich Nichts erlegt habe, immer, wie es sich anfühlen würde, ein Wochenende verschwendet zu haben. Ich entgegnete ihm immer, dass man Jagd nicht verstanden hätte, wenn es einem nur um das Erlegen ginge. Nachdem ich 18 geworden bin, konnte ich endlich alleine auf Jagd gehen und mit dem Auto ins Revier fahren. Diese Vorteile nutzte ich aus, um mit meinem Schulfreund, der vorher keine Berührung mit Jagd hatte, ins Revier zu fahren und auf Rehwild zu jagen. In der Jagdhütte angekommen machten wir uns abends auf den Weg zum Ansitz am Feldrand. Schon auf dem Weg zum Ansitz sahen wir eine schwarze Ricke. Wir schlichen geduckt und hinter einer Reihe Rundballen näher an das Wild heran und beobachteten das komplett schwarze Stück durch das Fernglas. Leisen Fußes gingen wir weiter zur Kanzel und warteten. Mein Freund hat sich bereits darüber gefreut, überhaupt Wild angetroffen zu haben, da er von mir wusste, dass man nicht bei jedem Ansitz Anblick hat und man nicht immer die Möglichkeit hat, ein Stück zu erlegen.
Das einzige Wild, welches wir bisher von der Kanzel aus beobachten konnten, waren mehrere Feldhasen, die sich auf dem Blühstreifen vor der Roggenkultur aufhielten. Es dämmerte und wir waren gespannt, ob noch Wild anwechseln würde.
Im letzten Büchsenlicht trat ein Stück Rehwild an den Feldrand heraus. Ich versuchte durch das Zielfernrohr das Stück anzusprechen und konnte das Gehörn eines Jährlingsbocks erkennen. Wir spürten beide, dass es ernst werden würde, hatten beide Jagdfieber und ich legte die Waffe an. Der Bock drehte sich und stand mit dem Haupt zu uns. Ich hatte Angst, dass der Rehbock Wind bekommen könnte und zielte erneut. Das Stück drehte sich beim äsen wieder, stand breit und ich schoss mit dem kleinen Lauf meines Bergstutzens. Der Bock brach auf der Stelle zusammen. Nach dem Schuss wurde es wieder leise und der Ausruf 'Waidmannsheil!' meines Freundes durchbrach die Stille. Wir warteten noch wenige Minuten und baumten dann ab, um den Bock zu bergen. Zu zweit trugen wir das Stück zur nahegelegenen Jagdhütte, haben das Stück verbrochen, aufgebrochen und in die Kühlung gehängt. Da der Schuss gut saß, waren wir zeitig fertig und die Qualität des Wildbrets wurde nicht gemindert.
Abends saßen wir noch auf ein Bier im Wohnzimmer zusammen und haben uns über den erfolgreichen Ansitz gefreut. Es war das erste Mal, dass ich ohne Begleitung eines Erwachsenen auf Jagd gefahren bin und der erste Ansitz meines Schulfreundes, welcher direkt ein Erfolgreicher war.
Die Ansitze der nächsten Tage waren weniger erfolgreich, aber wir bekamen noch diverses Wild in Anblick, welches nicht passte. Als wir den Bock kurz vor der Abreise zerwirkten, sagte mein Freund, dass er es interessant finde, den Prozess vom lebendigen Stück zum Lebensmittel mitzuerleben. Er sagte, dass das Wild ab dem Zeitpunkt, an dem wir den Bock aus der Decke geschlagen haben, für ihn zum Lebensmittel geworden wäre. Ihm wurde allerdings auch klar, dass der Schuss prozentual den geringsten Teil der Jagd ausmacht und Revierarbeiten, Ansitze und gemeinsame Abende unter Jagdfreunden nur Beispiele für die zeitintensiveren Aktivitäten sind.
Auf der Rückfahrt sprachen wir über die vergangenen Tage und ich bin mir sicher, die These, dass es bei der Jagd nur um das Erlegen von Wild geht, widerlegt zu haben. Dieser Eindruck wurde nochmals bestätigt, da ich mir den Kommentar des 'verschwendeten Wochenendes' nie wieder anhören musste und bald wieder mit meinem Freund auf Jagd fahre. Meiner Meinung nach geht es bei der Jagd vielmehr um das Erleben von Natur, dem Ziel, dem Wild einen Schritt voraus zu sein und dem Ausleben einer nachhaltigen Passion mit Gleichgesinnten. H.K.