Statistische Nebenwirkungen
Zahlreiche Pressemeldungen in der vergangenen Woche ließen vermuten, dass rund 24.500 registrierte Schusswaffen plötzlich nicht mehr auffindbar seien, weil sie polizeilich als gestohlen oder abhandengekommen gemeldet worden sind. Dies gehe aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage( 19/335) vom Bündnis90/Die Grünen hervor. Entsprechend hoch war auch die Zahl der Nachfragen beim Verband Deutscher Büchsenmacher und Waffenfachhändler (VDB) in Marburg.
Die Auskunft der Bundesregierung auf Punkt 6 der Kleinen Anfrage ist in der Tat ohne Hintergrundwissen missverständlich, auch angesichts der recht knappen Fragestellung: „Wie viele Waffen waren jeweils zum Stichtag 31. Januar 2017 und 31. Januar 2018 im NWR als „gestohlen“ oder als „abhandengekommen“ gespeichert?“
Die Antwort: „Zum Stichtag 31. Januar 2017 waren 4.476 Waffen als gestohlen und 16.226 Waffen als abhandengekommen gemeldet. Zum Stichtag 31. Januar 2018 waren 5.249 Waffen als gestohlen und 19.282 Waffen als abhandengekommen gemeldet.“
Bei den von der Bundesregierung korrekt genannten Angaben handelt es sich allerdings nicht um absolute Zahlen pro Jahr, sondern um den jeweils aktuellen Datenbestand. Das 2013 eingeführte Nationale Waffenregister (NWR), dessen Erfassungsphase erst Ende 2017 abgeschlossen wurde, ist die erste bundesweite Statistik zum legalen Waffenbesitz scharfer Schusswaffen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) berichtete zu diesem Zeitpunkt, dass jedoch bereits die Daten der über 500 Waffenbehörden fehlerhaft waren und bei der Übertragung der Daten in das NWR noch weitere Fehler hinzukamen.
Diese fehlerhaften Daten sollten bis Ende 2017 im Register bereinigt werden. Die Gesamtzahl der fast 25.000 „verschwundenen“ Schusswaffen beinhaltet somit auch solche, die bereits 1976 gestohlen (und polizeilich bearbeitet) wurden, deren Verlust aber erst 2017 elektronisch im Register umgesetzt wurde, und solche, die vor Jahrzehnten verschrottet wurden, sich aber noch im Register befanden, sowie ordnungsgemäße Veräußerungen, die im NWR nicht erfasst waren. Diese „Inventarverluste“ machen den Großteil der „verschwundenen“ Waffen aus.
Johannes Dimroth, der Sprecher des Bundesinnenministeriums, bestätigte dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), dass die angeblich so hohe Zahl nicht aussagekräftig sei. Das Problem sei, "dass sich aus dieser Zahl mitnichten eine tatsächliche Entwicklung – also eine Zunahme – der Zahl von Waffen oder Waffenteilen, die gestohlen oder abhandengekommen sind, ablesen lässt."
Statt einer Zunahme beim Schusswaffendiebstahl verzeichnet die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) einen erfolgreichen Rückgang um über 50% - und das in allen Bereichen.
Die PKS erfasst sämtliche Diebstähle von Schusswaffen, auch die bei Behörden, Militär und Besitzern von erlaubnisfreien Waffen. Seit 1987 (1666 Fälle) reduzierten sich die Diebstahlsfälle stetig um mehr als die Hälfte auf 767 Fälle im Jahr 2016. Aus den früheren Bundeslagebildern zur Waffenkriminalität ist zudem bekannt, dass im Schnitt nur 15% der Diebstähle von Schusswaffen den legalen Besitz der Jäger, Sportschützen und Waffensammler betreffen – auch zu Zeiten, wo ein Tresor noch nicht zur Aufbewahrungsauflage gehörte.
Von dringendem Handlungsbedarf für den Bundesinnenminister nach den ohnehin erst im letzten Jahr wieder verschärften Aufbewahrungsrichtlinien, wie ihn die Grünen jetzt sehen, kann daher keine Rede sein. Auch die Angst, dass zu viele vormals legale Waffen in „dunkle Kanäle“ abwandern, ist unbegründet. Diese Kanäle bedienen sich seit Jahrzehnten aus dem Waffenschmuggel und der illegalen Herstellung/Bearbeitung, oftmals in Verbindung mit der organisierten Kriminalität, insbesondere aus dem Balkan.