Spiegel Online vernachlässigt Stand der Wissenschaft
Entgegen der landläufigen Meinung sind sich Jäger und andere Naturschützer oft einig, so auch beim Thema "Einfluss von Katzen auf die Vogelwelt". Der Naturschutzbund (NABU) Hamburg rief jüngst Katzenbesitzer dazu auf, ihre Vierbeiner zur Brutzeit im Haus zu lassen. Das Hamburger Abendblatt titelte "Nabu fordert Hausarrest für Hamburger Katzen". Der DJV unterstützt diese Forderung und weist darauf hin, dass es sich hier um Haustiere handelt, die in der Regel einen gefüllten Futternapf und ein warmes Plätzchen auf dem Sofa haben, Katzen also, die vom Erfolg ihres Jagdtriebes nicht abhängig sind. Sogar der Tierschutzbund gibt beim Thema Hauskatzen den Einfluss auf die Vogelwelt zu: "Einfluss ja, Ausrottung nein" - immerhin.
Ein zusätzliches Problem sind verwilderte Katzen (kein Futternapf, kein Sofa), deren Anzahl der Deutsche Tierschutzbund (DTB) auf etwa zwei Millionen Tiere schätzt. Das Leben dieser Tiere hängt maßgeblich von ihrem Jagderfolg ab, weil es in der Regel keine weitere Futterquelle für die Streuner gibt.
Legt man - auf der Basis zahlreicher Studien über Hauskatzen - nun vorsichtig zu Grunde, dass verwilderte Katzen in Mitteleuropa keine anderen Arten erbeuten als Hauskatzen auf ihren Streifzügen, dann wären das immer noch zu einem Viertel Vögel und zu 70 Prozent kleine Säugetiere. Legt man zu Grunde, dass sie nicht mehr Tiere erbeuten als Hauskatzen, so sind es immerhin um die 30 Tiere pro Jahr. Wenn wir ehrlich sind, ist mit 30 Beutetieren pro Jahr der Magen nicht gefüllt und ein Überleben unmöglich.
Rechnet man jedoch mit der kleinsten möglichen Annahme, wären ein Viertel der Tiere (sieben) immer noch Vögel. Bei 2 Millionen verwilderten Katzen wären dies 14 Millionen Vögel. Addiert man die 12,3 Millionen Hauskatzen in Deutschland sind es etwa 86 Millionen Vögel.
Insgesamt könnten also rund 100 Millionen Vögel in Deutschland auf das Konto von FELIS CATUS gehen. Nicht umsonst listet die Weltnaturschutzunion (IUCN) die Katze auf Platz 38 von 100 gefährlichsten invasiven Arten.
Wenn es Forschern gelingen sollte, verwilderten Katzen "Kitty Cams" umzuhängen, wie durch Wissenschaftler an der Universität von Georgia an Hauskatzen praktiziert, dann dürften diese vorsichtigen Rechnungen um ein mehrfaches übertroffen werden.
Weiterführende Studien:
K. Hackländer, S. Schneider und J.D. Lanz (2014): Gutachten „Einfluss von Hauskatzen auf die heimische Fauna und mögliche Managementmaßnahmen“. Universität für Bodenkultur. Wien.
S.R. Loss, T. Will und P.P. Marra (2013): The impact of free-ranging domestic cats on wildlife of the United States. Nature Communications. Nr 4, Artikelnummer 1396, DOI: 10.1038/ncomms2380.
O. Geiter, S. Homma, R. Kinzelbach (2002): Bestandsaufnahme und Bewertung von Neozoen in Deutschland. Untersuchung der Wirkung von Biologie und Genetik ausgewählter Neozoen auf Ökosysteme und Vergleich mit den potenziellen Effekten gentechnisch veränderter Organismen. Heft 25/2002, Umweltbundesamt. Berlin. ISSN 1862-4804.
S. 110: „Die wichtigsten schadensverursachenden Neozoen in Deutschland. (…) Die freilaufende Hauskatze ist die absolute Bedrohung der Singvögel im siedlungsnahen Bereich.“
M. Woods et al. (2003): Predation of wildlife by domestic cats Felis catus in Great Britain. Mammal Rev. 2003, Volume 33, No. 2, 174–188.
J.S. Coleman, S.A. Temple und S.R. Craven (1997): Cats and Wildlife. A Conservation Dilemma. In: wildlife.wisc.edu, University of Wisconsin.
statista (2013): „Studien und Statistiken zu Haustieren“. https://de.statista.com/themen/174/haustiere/ (abgerufen am 3. November 2014).
Die SPIEGEL-ONLINE Aussage: "Konkrete Zahlen, wie viele wilde Hauskatzen tatsächlich wie viele und welche Vögel fressen, gibt es nicht", vernachlässigt den aktuellen Stand der Wissenschaft.