Vom Fotoshooting auf den Ansitz
Sarah und ich lernten uns nicht bei der Jagd, sondern bei einem Fotoshooting kennen, das ihre Mutter ihr zum Geburtstag schenkte. Ein befreundeter Fotograf bat mich diesen Auftrag zu übernehmen und da ich noch etwas gut bei ihm hatte, tat ich das auch - mit etwas gemischten Gefühlen. Mein erstes Fotoshooting mit einer Jägerin und ihren Jagdhunden. In der letzten Nacht vor dem Termin träumte ich von einem Jagdhund, den ich mit einem toten Reh im Maul fotografieren muss - mir war nicht ganz wohl bei der Sache. Am Ende war jedoch alles ganz anders. Es war sehr entspannt und herzlich, ohne totes Getier, Blut und sonstigen Horrorgedanken. Stattdessen hat mir Sarah viel von der Jagd erzählt und mein Interesse geweckt. Worauf hin wir uns einige Wochen später, an einem kalten Winternachmittag auch endlich zu unserem ersten gemeinsamen Ansitz trafen. Fragen über Fragen... 'Was soll ich denn anziehen?' - Irgendwas dunkles wäre ok. Dunkelgrün, braun, auch schwarz wäre möglich - nur nichts blaues. Die Erklärung dafür erhielt ich auf der Fahrt in Sarahs Revier. Dort angekommen bekam ich die Anweisung, dass ab jetzt nur noch geflüstert werden darf. Ok, klar, das krieg ich hin. Aus dem Auto ausgestiegen, erhielt ich schon die erste gedankliche Ohrschelle. Während Sarah ihre Autotür leise zudrückte, hatte ich sie zeitgleich wie gewohnt einfach zufallen lassen. Das passierte mir kein zweites Mal. Auf dem Weg zum Hochsitz sollte ich auf keinen Fall auf herumliegende Äste oder Kiefernzapfen treten. Nach der ersten Begutachtung des Bodens war ich fasziniert, wie leise sich Sarah durch den Wald bewegte, wobei ich Mühe hatte gleichzeitig auf den von Ästen übersäten Boden zu achten, einen Schritt vor den anderen zu setzen und zeitgleich nach Wild Ausschau zu halten. Und da passierte es auch schon, bevor wir den Wald in Richtung Feld verlassen konnten. Ein Stück Rehwild kreuzte unseren Weg etwa 200 Meter vor uns, direkt an der Lichtung. Sarah bliebt wie angewurzelt stehen und ich versuchte ebenfalls nicht aus Versehen auf einem Ast stehen zu bleiben und mich hinter ihr zu verstecken. 'Das muss uns doch sehen können', dachte ich leise in mich hinein. Aber nachdem es in alle Richtungen gesichert hatte, ging es einfach weiter, bis es irgendwann im Wald verschwand. Auf Sarahs Handzeichen bewegten wir uns leise weiter.
Am Hochsitz angekommen, kletterte sie hinauf und legte unser Sitzbrett zurecht. Oben angekommen flüsterte sie mir noch die Funktion der elektronischen Ohrschützer zu. Ich hätte auf jeden Fall genug Zeit sie aufzusetzen, bevor sie schießen würde. Da war ich beruhigt. Nach einem kurzen Test hatte ich die Technik verstanden und es begann eine lange Zeit des Wartens. Ich sicherte nach links und Sarah nach Rechts. Plötzlich stupste sie mich an und zeigte vorsichtig in Richtung Wald. Ich konnte erst garnichts erkennen, bis plötzlich ein Reh aus dem Wald trat. Sie nahm ihr Fernglas, schaute und schüttelte den Kopf. 'Die sind nicht frei' flüsterte sie mir zu und wir beobachteten den jungen Rehbock noch eine Weile. Nach gefühlten 10 Minuten auf dem Feld zog er sich wieder in Richtung Wald zurück. Neben ihm haben wir noch einen aufmerksamen Feldhasen beobachten können, bevor das letzte Abendlicht verblasste und wir den Heimweg antraten. Und obwohl wir nun nichts mehr schiessen konnten, verließen wir den Wald genau so leise wie wir gekommen sind. Aus Respekt vor der Natur.
Dieser Ansitz war der Anfang einer großen Veränderung in mir. Zum einen hatte ich eine neue Freundin gewonnen, die ich heute nicht mehr missen möchte und die mir jederzeit auf die 'dümmsten' Jagdfragen eine sachliche Antwort weiß. Auch nehme ich die Natur aus einem völlig anderen Blickwinkel wahr. Ich dachte eigentlich immer, das ich ein sehr naturverbundener Mensch bin, was ich auch war. Aber aus heutiger Sicht ist es soviel intensiver als noch vor fast einem Jahr. Seit diesem Ansitz gehen wir beide in unregelmäßigen Abstanden gemeinsam auf Jagd. Auch die ein oder andere Drückjagd bereichern wir gemeinsam als lustige Treiberwehr. Vor unserem Treffen hatte ich seit vier Jahren kein Fleisch mehr gegessen - aus Protest gegen die inakzeptable Massentierhaltung und Futtermittelproduktion. Seit 2 Monaten esse ich wieder Fleisch - ausschließlich Wild, bei dem ich weiß, wo es herkommt und wer es erlegt hat. Es ist jedes Mal etwas ganz besonderes und schmeckt tatsächlich wahnsinnig gut. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich der Natur einen großen Schritt näher gekommen bin und freue mich nun auf mein zweites Jahr im Zeichen der Jagd. Inga Haase