„Wildunfälle nur die Eisbergspitze“
Heißhunger treibt sie über die Straße: Pflanzenfresser wie das Reh sind nach dem milden Winter früher als die vergangenen Jahre auf Futtersuche. „Rechts vor Links“ an Straßen kennen sie dabei nicht. Zudem werden jetzt junge, geschlechtsreife Rehböcke vertrieben. In der vermeintlich sicheren Dämmerung erkunden sie neue Reviere, doch der April ist der Monat mit den meisten Wildunfällen. Die Zeitumstellung verschärft zusätzlich die Gefahr: Plötzlich fällt der morgendliche Berufsverkehr in die aktive Zeit der Wildtiere. Besonders hoch ist die Unfallgefahr im Frühjahr auf Straßen entlang der Wald-Feld-Kante. „Dort fahren wir praktisch durch das Wohn- und Esszimmer der Tiere“, sagt Torsten Reinwald, Pressesprecher des Deutschen Jagdverbandes (DJV).
Die Wildunfallstatistik 2013, die der DJV heute vorgelegt hat, zeigt einen weiteren Aufwärtstrend bei Unfällen mit Reh, Wildschwein oder Hirsch. Ein Vergleich mit dem 5-Jahres-Durchschnitt der Vorjahre ergibt eine Steigerung bei Paarhufern (Reh, Wildschwein, Rot- und Damhirsch) um insgesamt 1,6 Prozent. Beim Damwild sind es sogar 13 Prozent.
„Der Anstieg der Wildunfälle ist nur die Spitze des Eisbergs. Er ist ein Indikator für die zunehmende Zerschneidung von Lebensräumen in Deutschland durch Verkehrswege“, sagt Reinwald. Sie führe zu einer Verinselung von Tierpopulationen. Der Verband fordert die rasche Umsetzung des „Bundesprogramm Wiedervernetzung“, mit dem Lebensräume durch Querungshilfen wieder verbunden werden. 100 primäre und 30.000 sekundäre Konfliktstellen haben Wissenschaftler im deutschen Straßennetz identifiziert. Mit Querungshilfen (z.B. Grünbrücken oder Ottertunnel) sollen diese Straßenabschnitte entschärft werden. Wildtiere können dann wieder barrierefrei wandern – ein Schlüssel für weniger Unfälle und mehr Artenvielfalt. Seit 1975 ist die Verkehrsdichte um das Vierfache gestiegen. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Wildunfälle verfünffacht. Täglich rollen 48.000 Fahrzeuge pro 24 Stunden und Streckenabschnitt über deutsche Autobahnen. Auf Bundesstraßen sind es bis zu 9.000. Selbst für große Säuger, wie etwa Rothirsche, wirkt eine Straße bei einer Verkehrsdichte ab 10.000 Fahrzeugen pro 24 Stunden bereits wie eine unüberwindbare Barriere – das zeigte das DJV-Projekt „Barrieren überwinden“ in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Naturschutz und der Universität Kiel.
Wie kann ich Wildunfälle vermeiden und was ist zu tun, wenn es gekracht hat? Der DJV gibt Tipps: Wildunfallprojekt