Barrierefreiheit für die biologische Vielfalt
Verkehrswege müssen keine Barriere für die biologische Vielfalt sein, wenn große Querungshilfen wie Grünbrücken und Ottertunnel ökologisch hochwertig an das Hinterland angebunden werden. Gleichzeitig können Verkehrsunfälle mit Wildtieren vermieden werden. Das Leuchtturmprojekt „Holsteiner Lebensraumkorridore“ zeigt, wie wichtig die richtige Gestaltung auf der Grünbrücke und deren Einbindung in die umgebende Landschaft ist: So haben sich zum Beispiel seltene Arten wie Kreuzkröte oder der Warzenbeißer, die sich nur langsam fortbewegen können, bis zur Grünbrücke bei Kiebitzholm ausgebreitet. Die Haselmaus, das Blutströpfchen – eine Schmetterlingsart – und der Kammmolch nutzen inzwischen die Grünbrücke, der Fischotter ist im benachbarten Ottertunnel nachgewiesen worden. Im an die Grünbrücke angrenzenden Naturwaldband lebt eine hohe Artenvielfalt von Brutvögeln und Fledermäusen.
Was inzwischen kleinräumig funktioniert, muss aber auch im regionalen Maßstab wirken. Daher wird in einem weiteren Projekt der „Regionen- und naturraumübergreifenden Wiedervernetzung“ die großräumige Wiedervernetzung von Naturschutzflächen zwischen und über die Autobahnen A 7 und A 21 im Kreis Segeberg erprobt und entwickelt.
Dass die Verkehrsinfrastruktur durchaus mit einer grünen Infrastruktur vereinbar ist, ist ein Ergebnis, welches heute rund 130 Wiedervernetzungsexperten aus ganz Deutschland während der Tagung „Lebensraumkorridore für Mensch und Natur“ in der Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin vorgestellt wird. Eingeladen haben der Deutsche Jagdverband (DJV) und die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein (SNSH) Fachleute aus den Bereichen Straßenbau, Verwaltung, Forst, Jagd und Naturschutz. Gemeinsam mit den politischen Vertretern sollen neue Erkenntnisse zum Thema Wiedervernetzung von Lebensräumen für Wildtiere über trennende Verkehrswege hinweg diskutiert und Impulse für Handlungsempfehlungen gegeben werden.
„Mit Blick auf das Artensterben können wir es uns nicht leisten, noch mehr Landschaft unüberwindbar zu zerschneiden", sagt Rita Schwarzelühr-Sutter, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium (BMUB). "Im Gegenteil: Um dem Verlust von Artenvielfalt entgegenzuwirken, müssen wir die mit Straßen, Bahntrassen und Siedlungen geschlagenen Schneisen konsequent wieder miteinander vernetzen. Die künftige Verkehrs- und Bauplanung muss sich stärker an ökologischen Kriterien orientieren – nur dann ist sie wirklich zeitgemäß, richtungsweisend und zukunftsfähig.“
„Die Zerschneidung von Lebensräumen gehört zu den gravierendsten Gefährdungsursachen für die biologische Vielfalt“, sagt Prof. Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN). „Im BfN befassen wir uns seit knapp 20 Jahren mit dieser Thematik. Mit unseren Vorhaben konnten wir beispielsweise nachweisen, dass Grünbrücken viel effizienter für die biologische Vielfalt wirksam sind, wenn sie in das landschaftliche Umfeld ein- und an das Hinterland angebunden sind.“
„Für große und kleine Wildtiere, von der Haselmaus – Tier des Jahres 2017 – bis zum Rothirsch, sind Straßen oft unüberwindbare Hindernisse“, sagt Hartwig Fischer, DJV-Präsident. „Sie zerschneiden deren Lebensräume und beschränken die natürlichen Wanderungen der Tiere. Um eine genetische Verarmung zu verhindern, müssen die uralten Wanderrouten von Tieren wie dem Rothirsch auch über Straßen hinweg erhalten bleiben.“
Während der eintägigen Veranstaltung werden neue Entwicklungen aus Erprobungsvorhaben und aus der Praxis gegeben, die die strategischen Ansätze aus Politik und Forschung aufgreifen, sowie wichtige Impulse für eine künftige Ausrichtung. Zu diesen Ergebnissen zählen konkrete Anforderungen an Wiedervernetzungsmaßnahmen, die Eingang in Leitfäden des Straßenbaus finden, aber auch vorbildliche und erfolgreiche Umsetzungen in den Ländern. Hinzu kommen Untersuchungen zu Möglichkeiten und Grenzen von Straßenbegleitgrün als Lebensraum und Vernetzungselement oder Ansätze zur Beurteilung von Wildunfällen und zur Wildunfallvermeidung.