"Wer Wespennester ausspioniert, braucht Grips"
Wespenbussarde sind sehr scheu und deshalb auch schwer zu beobachten. Geschätzte 15.000 Brutpaare gibt es in Mitteleuropa. In Deutschland ist die Vogelart ab Mai für etwa fünf Monate zu Gast, nämlich dann, wenn es genügend Nahrung gibt. Ob der Insektenfresser vom Wespenjahr 2018 profitiert hat und wie verletzte Bussarde gepflegt werden, das verrät Sylvia Urbaniak im DJV-Interview. Sie ist tiermedizinische Fachangestellte und leitet gemeinsam mit dem Falkner Frank Seifert die Station der Greifvogelhilfe Rheinland. Wespenbussarde unterliegen dem Bundesjagdgesetz und sind ganzjährig geschützt. Falkner sind ausgewiesene Experten für die Pflege und Haltung verunfallter Greifvögel und Eulen.
Wie kann ich einen Wespenbussard überhaupt erkennen?
Dem Laien fällt die Unterscheidung vom Mäusebussard oft schwer. Besonders auffällig sind bei adulten Wespenbussarden die gelben Augen, ähnlich denen des Habichts. Im Flug wirkt der Wespenbussard insgesamt schlanker. Im Vergleich zum Mäusebussard wirkt der Kopf des Wespenbussards langgestreckter, fast schon taubenartig. Auch der Hals wirkt länger als beim Mäusebussard. Das Schwanzgefieder des Wespenbussards ist ebenfalls markant: An der Basis besitzt es zwei bis drei kräftige Querbänder, dann eine Lücke mit schwach ausgeprägter Bänderung und schließlich an der Schwanzspitze ein breites, schwarzes Band. Der Mäusebussard hingegen hat acht bis 12 regelmäßig angeordnete Bänder.
Gibt es sonst noch Besonderheiten?
Die Füße sind schuppiger und dicker als bei anderen Greifvögeln, ein Schutz gegen die Stiche von Wespen und anderen Insekten. Die Federn im Gesicht sind deshalb auch schuppenartig und eng anliegend.
2018 war ein ausgesprochenes Wespenjahr. Welche Auswirkungen hatte das auf den Wespenbussard?
Dieses Jahr waren die Bedingungen in Deutschland optimal - das gilt für Witterung und Nahrung. Ein großer Bruterfolg ist also wahrscheinlich. Der Wespenbussard ist ab Mai etwa fünf Monate in Deutschland, nämlich dann wenn es Insekten gibt. Ist das Wetter zu dieser Zeit schlecht, fängt er erst gar nicht an zu brüten. Das Weibchen legt in der Regel aber zwei Eier.
Was frisst der Wespenbussard genau?
Der Wespenbussard ist im Gegensatz zum Mäusebussard ein Nahrungsspezialist und ernährt sich hauptsächlich von Wespen und anderen Insekten. Das heißt aber nicht, dass er sie in der Luft fängt. Er buddelt die Waben aus und macht sich über die proteinreichen Larven her, auch von Hummelnestern. Ansonsten ist er ein Schleckermaul und mag gerne reife, süße Früchte, zum Beispiel Kirschen, Birnen oder Pflaumen. Hin und wieder frisst er auch Frösche und nestjunge Vögel.
August und September ist die Hauptzugzeit für den Wespenbussard. Wo kann man Wespenbussarde derzeit in Deutschland beobachten?
Überall in Deutschland kann man jetzt mit etwas Glück Wespenbussarde sehen. Es sind aber Zufallsbeobachtungen, da die Vögel keine speziellen Zugrouten haben. Der Blick in den Himmel lohnt sich - ein vermeintlicher Mäusebussard kann sich schnell als Wespenbussard entpuppen. Wespenbussarde ziehen oft in Trupps, bis zu 100 Tiere wurden schon beobachtet. Es sind sogenannte Thermikzieher: Die Bussarde benötigen gutes Wetter und günstige Winde für ihren Zugweg Richtung Afrika. Bei entsprechender Wetterlage im August und September bekommen sie regelrecht Zuggefühle und fliegen los. Der Juli ist auch eine gute Zeit, um Wespenbussarde zu beobachten. Dann transportieren sie nämlich ganze Wespennester mit leckeren Larven in ihren Fängen zu den Jungen im Nest.
Wie viele Wespenbussarde pflegen Sie in der Greifvogelhilfe Rheinland?
Bei uns kam ein Halbwüchsiger Ende Juli an, der aus dem Nest gefallen war, aber unverletzt geblieben ist. Die Eltern würden ihn nicht mehr füttern, er wäre zum Tode verurteilt. Unsere Aufgabe war es in diesem Fall, ihn dick und rund zu füttern. Schließlich muss er den Kräfte zehrenden Zug nach Afrika schaffen - das sind rund 7.000 Kilometer. Innerhalb der ersten fünf Tage hat er von 600 auf 700 Gramm zugenommen. Wir haben festgestellt, dass 2018 deutschlandweit Greifvogelstationen vermehrt Wespenbussarde aufgenommen haben. Wir haben unseren Anfang September ausgewildert. Und am selben Tag einen neuen Wespenbussard mit gebrochenem Flügel bekommen.
Dieser Vogel war sicherlich schon auf dem Zug, oder?
Dieser Wespenbussard ist auf dem Weg nach Afrika verunglückt. Jemand hat ihn auf einem Kartoffelfeld gefunden, die wollte er sicherlich nicht fressen. Er hat einen Verband bekommen, den er etwa drei Wochen tragen muss. Danach wird Frank Seifert, der Jäger und Falkner ist, sich um das fachkundige richtige Training des Vogels kümmern. Nur wenn der Wespenbussard wieder perfekt fliegen kann, ist es ihm möglich später in der Natur zu überleben. Glücklicherweise ist der Bruch unkompliziert, wir sind zuversichtlich, das er wieder ganz gesund wird. Für die Reise nach Afrika muss er aber perfekt fliegen können, das schafft er nicht mehr vor Ende der Zugzeit. Also bleibt dieser Wespenbussard bei uns bis zum kommenden Frühjahr, dann ist die Nahrungssituation in Deutschland wieder günstig.
Wie füttern Sie Wespenbussarde, vor allem im Herbst und Winter, wenn Insekten nicht mehr vorhanden sind?
Seine Leibspeise, Wespen, stehen unter Naturschutz. Die können wir also nicht verfüttern. Doch Imker helfen uns. Sie liefern uns von April bis Juni Drohnenbrut, also Bienenlarven. Glücklicherweise können wir die auch einfrieren und haben so Futter für die kalte Jahreszeit. Unser Wintergast bekommt also demnächst Tiefkühlkost. Natürlich füttern wir auch mit Fleisch und reifem Obst.
Was sollten Menschen tun, die einen verletzten Wespenbussard finden?
Wer einen Greifvogel oder eine Eule findet, sollte uns oder eine andere Greifvogelstation kontaktieren. Wir beraten Anrufer aus dem gesamten Bundesgebiet. Anhand von Fotos können wir oftmals Vögel bestimmen und Tipps geben. Die Pflege und Aufzucht von Wespenbussarden ist etwas für Spezialisten. Wichtig ist grundsätzlich, Fehlprägungen zu vermeiden. Der Vogel darf nicht lernen, dass es bei Menschen Futter gibt. Wespenbussarde sind besonders pfiffig. Na ja, wer Wespennester ausspionieren muss, der braucht schon etwas Grips.
Und wie sollte ich einen verletzten Vogel transportieren?
Wichtig ist beim Transport, die Federn maximal zu schützen. Eine Gitterbox ist deshalb völlig ungeeignet. Mehrere gebrochene Federn können bereits einen erfolgreichen Flug nach Afrika vermasseln. Gut geeignet für den Transport ist beispielsweise ein geräumiger verschlossener Umzugskarton. In Dunkelheit bleibt der Vogel ruhig, das Verletzungsrisiko sinkt.